Beim Thema Barrierefreiheit denken die meisten Menschen zunächst an Blindheit, Taubheit oder Menschen im Rollstuhl. Aber auch eine Lese-Rechtschreibschwäche, ein eingeschränktes Sichtfeld, ein beeinträchtigtes Kontrastsehen oder allgemeine Alterserscheinungen führen im Alltag oft zu Beeinträchtigungen. Mit unterschiedlichstem Ausmaß wird hier die Teilhabe am öffentlichen Leben beeinflusst. Das Thema Barrierefreiheit betrifft also nicht nur einzelne Randgruppen – viele Personen sind irgendwann darauf angewiesen.
Eine Möglichkeit, die Teilhabe von blinden oder sehbehinderten Menschen an der Gesellschaft zu unterstützen, sind taktile Wegeleitsysteme in der Objektbeschilderung. Für die bessere Orientierung können diverse Maßnahmen wie taktile Übersichtspläne, Handläufe oder Bodenleitsysteme helfen und bereits bestehende Leit- und Orientierungssysteme in Gebäuden ergänzen. Diese müssen jedoch systematisch geplant und für den Nutzer logisch platziert werden, um die entsprechende Person an ihr Ziel zu führen.
Was bei der Planung von taktilen Leitsystemen zu beachten ist, möchten wir mit folgenden Tipps zeigen:
1. Im Sinne des Nutzers denken und klein anfangen
Ist die Entscheidung gefallen, die Wege eines Gebäudes taktil zu gestalten, sollte in kleinen Schritten mit der Planung begonnen werden. Es müssen nicht alle Türschilder Brailleschrift enthalten, es muss kein Bodenleitsystem zu jeder Raumecke führen. Der Weg zum Hausmeisterraum? – Unwichtig für die meisten Besucher und Kunden. Nicht jeder Ort im Objekt muss daher per Leitsystem auffindbar sein. In der Planung sollte aus Sicht des Besuchers genau überlegt werden, welche Informationen bereitgestellt werden müssen. Zu viele Informationen führen zu Überforderung und Unübersichtlichkeit.
In öffentlichen oder halböffentlichen Gebäuden ist es vor allem wichtig, dass sich die blinde oder sehbeeinträchtigte Person im Eingangsbereich eines Gebäudes sofort ohne Umwege orientieren kann. Ein taktiler Übersichtsplan, eine Art Infopoint sollte auf dem direkten Weg, im besten Fall über ein kurzes Bodenleitsystem auffindbar sein. Von da aus sollte sich die Person zu den wichtigsten Räumen wie bspw. Verwaltung oder Toilette orientieren und bei einer Aufteilung auf mehrere Etagen Treppen und Aufzüge finden können.
2. Mit Bodenleitsystemen zu den wichtigsten Orientierungspunkten führen
Für blinde Menschen sind taktile Bodenleitsysteme von enormer Bedeutung, um sich im öffentlichen Raum mit Hilfe eines Pendel- bzw. Blindenstocks autonom bewegen zu können. Blindenleitsysteme zeigen Richtungen und Abzweigungen an, weisen auf wichtige Ziele hin und schützen vor Gefahren und Hindernissen wie Stolperfallen. Typische Bodenindikatoren (DIN 32984) sind tastbare Leitstreifen, die zu den wichtigsten Zielen wie Eingänge oder Treppen führen. Sie bestehen aus drei bis sieben-reihigen, nebeneinander liegenden Leitlinien. Zudem weisen Aufmerksamkeitsfelder mit tastbaren Noppen beispielsweise als Abzweigefeld auf Richtungswechsel hin oder tragen als Warnfeld zur Sicherheit bei.
In einem öffentlichen Gebäude kann ein taktiles Bodenleitsystem als erster Schritt in das Objekt eingesetzt werden. Ab einer Breite von ca. 8m des Eingangsbereichs ist ein Leitsystem sinnvoll. Leitlinien können sehbehinderte Personen direkt nach Betreten des Objekts zu einer taktilen Gebäudeübersicht führen, die ihnen Orientierung im Raum gibt. Sie sollten daher leicht auffindbar sein.
3. Einfacher Übersichtsplan an einem zentralen Standort
Übersichtspläne und -tafeln müssen auf direktem Weg und ohne Umwege erreichbar sein. Zudem sollten sie an einem Ort platziert werden, an dem keine „Laufkundschaft“ unterwegs ist und sich die blinde Person in Ruhe orientieren kann. Der tastbare Gebäudeplan sollte einen Gebäudegrundriss mit den wichtigsten Informationspunkten enthalten. Die schriftlichen Informationen auf dem Plan können sowohl in erhabener Profilschrift (Pyramidenschrift) als auch in Brailleschrift angebracht werden, die mittels Fingerspitzen ertast- und lesbar sind. Ergänzt werden können die taktilen Schriften durch tastbare Piktogramme und Sonderzeichen. Wichtig bei der Gestaltung des Übersichtsplans ist, dass er nicht mit zu vielen Informationen bestückt wird und eine Legende für die genutzten Symbole enthält.
Je mehr Informationen auf dem Plan zu finden sind, desto schwieriger gestaltet sich nicht nur das Bearbeiten der Informationen bei der Person, die sie aufnimmt. Auch der Vorgang des Lesens an sich wird unangenehmer, wenn der Plan beispielsweise als Wandwegweiser angebracht ist und sehbehinderte Menschen beim Abtasten permanent die Arme nach oben beugen müssen. So muss nach gewissen Zeiten immer wieder eine Pause eingelegt werden, um wieder Gefühl in den Fingerspitzen zu bekommen und weiter lesen zu können. Angenehmer in diesem Fall ist ein Pultaufsteller. Hier gibt es unterfahrbare Varianten bis zu einer Höhe von 150 cm, die auch für Menschen im Rollstuhl sehr gut geeignet sind.
4. Taktile Türbeschilderungen – so wenig Informationen wie nötig
Türen müssen für blinde und sehbehinderte Menschen gut auffindbar und erkennbar sein. Die Türschilder der wichtigsten Räume sollten dabei taktil gestaltet sein und nicht mehr Informationen als die Raumnummer und maximal die Raumbezeichnung bzw. dessen Funktion enthalten. Sie können sowohl Pyramiden- als auch Brailleschrift enthalten.
Bei der Planung von Objektbeschilderungen müssen bereits vorhandene Türschilder nicht immer ausgetauscht, sondern können auch mit taktilen Systemen nachgerüstet werden. Zudem ist es nicht notwendig, jede Tür barrierefrei beschriften zu müssen. Der Planer sollte sich genau überlegen, welche Informationen und Räume tatsächlich relevant für den Nutzer sind und welche Räume nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Jede zusätzliche taktile Beschriftung bringt nicht nur Unübersichtlichkeit in das System, sondern muss von vornherein auch in der Budgetplanung mit bedacht werden.
5. Handlaufschilder und Stufenmarkierungen für die Orientierung im Treppenbereich
Treppen sind sowohl für sehbehinderte als auch normal sehende Menschen häufig gefährliche Stolperfallen. Mit Aufmerksamkeitsfeldern, Stufenmarkierungen und Handlaufschildern können sie abgesichert werden. Ein Aufmerksamkeitsfeld mit Noppen vor der Treppe warnt die blinde Person vor der Gefahrenstelle. Kontrastreiche Markierungen an den Treppenstufen heben Absätze visuell ab. Handläufe informieren darüber, in welches Stockwerk es hingehen soll bzw. wo sich die jeweilige Person gerade befindet. Sollte sowohl Pyramiden- als auch Brailleschrift auf dem Handlauf angebracht werden, so ist es sinnvoll, die auch für sehende Menschen lesbare erhabene Profilschrift vorn und die für blinde Personen codierbare Brailleschrift hinten zu montieren.
Was sollte auf dem Handlauf stehen? Der Handlauf unten am Treppenbeginn sollte immer die Information beinhalten, in welches Stockwerk die Treppe führt. Der Richtungshinweis kann in Form eines kleinen Pfeils oder in Form von Text „Zum xy“ erfolgen. Oben angekommen enthält der Handlauf dann die Info, in welchem Stockwerk sich die Person gerade befindet. Geht es die Treppe hinab, so steht zu Beginn der obersten Stufe wieder der Hinweis, in welches Stockwerk sie führt und unten angekommen, wo sich die Person gerade befindet. Sollte nur ein Handlauf auf einer Ebene geplant sein, enthält er keine Richtungsinformation, sondern den Hinweis, in welchem Stockwerk die Person gerade steht.
Fazit: Taktile Wegeleitsysteme strategisch, sicher und sinnvoll einsetzen
Aufgrund der demografischen Entwicklung steigt der Anteil der Menschen mit altersbedingten Einschränkungen deutlich. Wer vorausschauend plant, kommt daher um barrierefreie Systeme nicht umhin. Gerade für Menschen mit Einschränkungen des Sehvermögens sind taktil gestaltete Beschilderungen eine große Hilfe, um sich im Alltag autonom bewegen zu können.
Architekten und Planungsbüros sollten jedoch genau überlegen, für welche Bereiche in einem Gebäude oder im Außengelände ein taktiles Leitsystem notwendig ist und welche Bereiche nicht frequentiert werden müssen. Schließlich ist ein taktiles Leitsystem ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor. Dennoch ist es enorm wichtig, blinden oder sehbehinderten Menschen durch eine erste einfache taktile Beschilderungen überhaupt eine Orientierung zu geben. Diese kann künftig dann jederzeit erweitert werden, wenn zusätzliches Budget oder öffentliche Fördergelder bereitgestellt werden.
Wichtig bei der Planung eines Leit- und Orientierungssystems ist, sich in die jeweilige Nutzergruppe hineinzuversetzen und die Informationen anzubieten, die für den Nutzer relevant sind und die er auch tatsächlich benötigt. Es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass sich eine sehbehinderte oder blinde Person selbstbestimmt bewegen und auf unkomplizierte Art und Weise sowie ohne Gefahren ihr Ziel finden kann – und dies funktioniert nur mit einer durchdachten Strategie und Empathie.